Donnerstag, 9. Juli 2009

Magnesiumkohlentrioxid?

Ich hole Elsa 5.30 Uhr morgens ab, tiefschwarze Nacht, mal wieder, sieht so aus, als wäre meine Kindheitserinnerung (wir fahren an die Ostsee, fahren um 3 los, damit wir noch am selben Tag ankommen, war ja schließlich mit Trabi und wir waren zu fünft, ich finde das herrlich aufregend und liebe das jedes Jahr aufs Neue, so zeitig aufzustehen und dann im Auto gleich weiterzuschlafen, mit nem Daunenkissen unterm Kopf, und Vati fährt und zum Glück haben wir Schnitten mit und Äpfel, aber Sven macht sich mal wieder fett neben mir, warum muss ich immer in der Mitte sitzen???) wieder mal ein Beweis dafür, dass man als Erwachsener schwer das NICHT lieben kann, was man als Kind schon geliebt hat. Aber auch: esse mittlerweile gerne Zwiebeln und Spinat, ich stürze mich förmlich drauf, ergo: man lernt auch manches lieben, was man als Kind „gehasst“ hat.

Jedenfalls ist es ebenso aufregend, dieses Mal selbst am Steuerrad zu drehen und mich immer wieder von meiner Kopilotin versichern zu lassen, dass wir auf der richtigen Straßenseite fahren, aber was soll’s, um diese Uhrzeit, in dieser Jahreszeit, in diesem Teil des Landes (Central Otago) ist außer uns kein Schwein unterwegs, welche Rolle spielt es dann, welche Straßenseite wir mit den Scheinwerfern erhellen? Elsa schläft ein, Schnarchnase. Elsa, ne coucher pas (keine Ahnung, ob das „don’t sleep“ heißt, ich versuch’s trotzdem, sie versteht mich), guck mal, die Kulisse ist unbeschreiblich, das sieht man nur bei Sonnenaufgang. Die Straße windet sich durch Bergtäler, der Himmel sieht aus wie von einem virtuosen Sprayer kreiert, unmerklicher Übergang zwischen tiefblau und mittelblau mit unendlich vielen kleinen leuchtenden Punkten, die aussehen wie Sterne, und weiter rechts kommt allmählich orangerosa hinzu. Darunter nur die schwarzbraune Silhouette der Berge. Die Designvorlage von PowerPoint scheint eine lächerliche Karikatur hiervon.


Einmal mehr schätze ich mich unendlich glücklich, hier sein zu können und empfinde diese gewaltige Dankbarkeit, aber dabei sind wir ja grad mal knapp zwei Stunden unterwegs (schleichend, da Bodenfrost), ich sehe das als ein gutes Zeichen, die Reise fängt gut an. Außerdem kann ich mir das Gefühl des Stolzes nicht verkneifen – darauf, dass wir dieses kleine Auto für einen Spottpreis für 4 Tage leihen konnten, und es hat sogar einen CD-Player und ich bin höchst zufrieden mit der Akustik im Innenraum dieser Knutschkugel.


Wir stoppen für Frühstück in Omakau, hier waren wir schon mal, mit zwei viel zu schweren Rucksäcken und zwei Fahrrädern, die viel zu wenig ausgerüstet waren für den Otago Rail Trail. Da war es noch relativ warm. Anyway…Im „Muddy Creek“ serviert (ich nenn’ sie mal) Debbie jedem von uns ein English breakfast, wir sind die einzigen Kunden bis jetzt, das Dorf ist wie ausgestorben, der Nebel und die Kälte unterstreichen das nur noch. Würstchen, Schinken, Rührei, Kartoffelpuffer, Toast, oh, no beans, rather not, thank you. Mmmh, das ist doch mal guter Kaffee.












































(kurzer Stopp danach an ner Spinnwebenbrücke, sooo kalt war es)


Wir platzen fast, aber nur fast, und sind sehr glücklich, was für ein toller Tag. Ich ahne nicht im geringsten, dass Elsa mich in schätzungsweise 92 Minuten zu etwas überzeugen wird, was es mir nicht allzu leicht machen wird, dieses Frühstück zu verdauen. In ungefähr 80 Minuten wird sie anfangen mit der Überzeugungsarbeit, und da fängt dann auch mein Magen schon an, sich an der Unterhaltung beteiligen zu wollen, merklich aber nur für mich, denn er dreht sich um.

Wir fahren an dem Schild vorbei, wegen dessen beschriebenen Ortes wir überhaupt erstmal hierher gekommen sind, aber zu dumm, auch Elsa hat es gesehen und schlägt jetzt vor, dass wir’s doch gleich machen sollen, wenn wir grad hier sind. Das heißt: Dass ICH es doch gleich machen soll, wenn wir grad hier sind. Was für ne tolle Idee, Elsa! Aber nee, lass mal, das können wir auch am Montag machen, wir sind ja im Urlaub, nicht auf der Flucht. Okay.


Aber mensch Conny, wäre doch cool, sonst müssen wir hier noch mal hinkutschen. Oder?


Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass Kawarau auf dem Weg zu Queenstown liegt, hatte stattdessen gehofft, dass das irgendwo versteckt ist, damit ich zur Not nen Rückzieher machen kann, weil wir es ja eh nicht finden. Ha! Da hab ich aber die Kiwis falsch eingeschätzt! Kommerzielles Bungyspringen wurde hier erfunden, deshalb wollte ich es ja auch HIER machen, aber jetzt, wo ich die Brücke schon sehen konnte, war mir schon anders, und die Kiwis machen auch kein Geheimnis draus, wo genau sie sich befindet.


Ich bremse und drehe um. Klar, keine Frage, ich habe keinen Zweifel, dass ich das machen will, bin doch hier zur Grenzenexpansion wie schon erwähnt, aber lasse jetzt zu, dass mir schlecht wird, auch, wenn es mir nicht unbedingt gefällt, da muss man eben durch als Lurch.


Bin nervös…eine Mischung aus Vorfreude, Neugier, Angst und English breakfast. Die Anmeldung ging mir etwas zu schnell vonstatten („Ja, Sie stehen ja nur an der Kasse, SIE SPRINGEN JA NICHT!!!“), und die 165 Dollar, die unverzüglich per EFTPOS von meinem Konto abgebucht werden, bringen mir Tränen in die Augen, denn mein Geiz verträgt sich schlecht mit meiner „Ich-mach-jeden-Mist-mit“-Attitüde.

Ich war dumm genug, meine Jacke auszuziehen, als ich kurz darauf auf die Brücke ging, um dann dort etwa 15 Minuten aufs Beseilen zu warten, denn die drei Leute vor mir war eben nun mal VOR mir dran. Kein Wind, aber trotzdem 4 Grad Celsius. Daher die Erkältung – gut, sehe jetzt auch ein, dass ich doch nicht immun bin und das mit der Winterjacke, die vor Erkältung schützt, kein Gerücht ist. Wie auch immer.


“If I die, I will come back up and kill you.”

Keine Reaktion, ich schließe daraus, dass er das oft hört. War aber sonst nett, der (ich nenn’ ihn mal) Mike.


War auch nicht ernst gemeint, nein. Ich hatte ja einhundertprozentiges Vertrauen in die Crew („Has anyone ever died?“ – „No.“ –„Aah.“ (respektvolles Nicken)) und in dieses wunderbar elastische Gummiseil, also…three…two…one… Rauschen, sonst Stille. Wind, ganz plötzlich. Der Kawarau-Fluss, unendlich schön in seinem Türkis, rast mir entgegen. Ich kann nicht glauben, was ich da grad gemacht habe, bin von ner Brücke gesprungen, quasi von nem 43m-Turm. Ansonsten denke ich nichts.




Etwa 4 Sekunden sind um.
Ich glaube, nach dem zweiten Nachschwingen schreie ich. Wie cool.

WAR

DAS

GENIAL


Jetzt hänge ich da so rum und merke, dass das der unangenehme Teil wird. Das Rumhängen. Warten, bis das Boot kommt mit der Stange, die ich greife, die mich ranzieht, dann kommt die Hand, man legt mich hin, ich hab mehr Blut im Kopf als sonst, glaub ich. Und wieder mehr English breakfast im Magen als vorher. Aber muss halt. Das Phänomen Gravitation ist doch janusköpfig.

Ich fand, das hier war nicht unbedingt notwendig, lach:



Das war dann der Anfang unseres spektakulären Wochenendes in Queenstown und Tekapo, letzteres hatten wir beide noch nicht gesehen, und wir sind natürlich wieder etwas wandern gegangen. Queenstown war von Wolken bedeckt, aber wir strotzten ihnen und unglaublicherweise lösten sie sich mehr und mehr auf, als wir den Berg bestiegen.


Als wir dann oben waren, waren nur noch einige wenige von ihnen übrig als Deko statt als Sichtbarriere.




(Schnee aufm Berg)

Abends haben wir dann in der Herberge Keith kennengelernt, einen Südafrikaner, der nicht
verstehen konnte, warum ich denn unbedingt wissen wollte, wie man "Gut gemacht!" auf Afrikaans sagt, aber ich wollte doch nur die Konversation beleben, denn er war so betrunken, dass es ein Wunder war, dass er die Spielkarten überhaupt noch in der Hand halten konnte. Naja.





Weiter ging es am nächsten Tag nach Tekapo, weiter in den Norden, weg von der Sonne. Konnte ja keiner ahnen. Aber Lake Tekapo war trotzdem wunderschön - trotz oder vielleicht sogar wegen des Nebels. Naja, da muss ich schon nochmal hin irgendwann, mit Sonne muss es auch gigantisch sein.

Wir wachten dann dort früh auf und hätten fast einen nächsten Snow Day gehabt, denn die Straße war kurzzeitig gesperrt, weil es die ganze Nacht geschneit hatte und viele LKWs im Graben lagen oder ihre Fahrer krampfhaft versuchten, sie den Berg hochzukriegen - endete aber nur im ewigen Grummeln des Motors, ohne das Vehikel auch nur einen Meter nach vorn zu bewegen. Die Straße war aber nach ein paar Stunden wieder frei, sodass wir doch zurück nach Dunedin fahren mussten. Auch in Tekapo haben wir nen Berg bezwungen, Mount John. Herrlich, die Farben.



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Ich habe letztens beim Duschen feststellen müssen, dass der kleine Kratzer an meinem Zeigefinger, den mir Fawkes unabsichtlich zugefügt hat (manchmal sind die Krallen im Weg), immer noch nicht verheilt ist. Ist ne blöde Stelle, so im Gelenk, kennt man ja. Dann stand ich da so meinen Zeigefinger betrachtend, ließ mich berieseln und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich bereits die Grenze überschritten haben muss zu dem Alter, in dem die Thrombozyten nicht mehr so richtig in die Gänge kommen. Ich werde alt.


Alles halb so wild, die Mädels aus der 13. Klasse und ich haben dann beschlossen, dass ich trotzdem noch jung genug aussehe, um als Austauschschülerin aus Deutschland durchzugehen. Die fünf haben mir dann unterschiedliche Teile der Schuluniform mitgebracht, ich hab mir nen Zopf gemacht und mir mal wieder die Brille aufgesetzt, hab dumm gegrinst und mir nen schrecklichen Dschörmen Eksent zugelegt und mich einen Schultag lang als 10 Jahre jünger verkauft, übrigens mit dem für Englischsprachige schwer auszusprechenden Namen „Lauramaria Quinque“.


Sänk ju, ei will bie hier till se end of se jier. I hef bien hier since tuh dehs.



HILARIOUS! Kaum zu glauben, dass ALLE sechs Lehrer mich begrüßt haben mit „Nice to meet you, welcome to our class!“ und dann ihren Unterricht wie gewohnt vollzogen. Nur eine Lehrerin war misstrauisch wegen der Ähnlichkeit zur deutschen Fremdsprachenassistentin, die doch seit fünf Monaten permanent im Lehrerzimmer ist und doch eigentlich ein ziemlich markantes Gesicht hat, sie hat sich aber nichts anmerken lassen. Was haben wir gelacht!


(Das sind die Übeltäter: Anna, Helen, Lauramaria, Anna, Megan, Jane)

Wir wollten ja aber niemanden veralbern, es ging ja ursprünglich nur um die Erfahrung, mal eine Schuluniform zu tragen und den Englischunterricht von Frau Nielson zu erleben. Hab dann alle Lehrer aufgeklärt, dass die verblüffende Ähnlichkeit einen Grund hatte…


Gelernt hab ich fast nichts. Hatte Englisch, Drama, Deutsch, Chemie und Geschichte. Wurde auch schmerzhaft an Chemie bei Frau Schulze, B. erinnert und konnte sehr wohl nachvollziehen, warum ich es nach der 10. abgewählt hatte. Ich verstehe kein Wort. Hab mir aber brav Notizen gemacht.


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Gestern war ein typischer Wintertag in Dunedin, wie man mir sagte. Es war kaum ein Wölkchen am Himmel zu sehen, die Sonne lachte in mein bay window, ich konnte endlich mal da sitzen, ohne zu frieren. War das warm im Rücken, ich hatte sogar das Fenster auf! Trotz der 6 Grad draußen.

Habe dann unglaublicherweise ein Buch gelesen, gegen das ich mich seit Jahren gesträubt hatte, denn dieser Hype geht mir auf den Keks, alle reden von diesem Zaubertypen, so’n Quatsch, zaubern, ha!

Nur ist meine Gastfamilie hier voller Vorfreude auf nächsten Mittwoch, dann kommt der nächste „Harry Potter“ in die Kinos, und sie wollen mich brutalerweise mitschleppen, denn es kann ja gar nicht sein, dass jemand „Harry Potter“ nicht mag, das geht nur, wenn die Person das Buch noch nicht gelesen hat. Sie haben mir vor ein paar Tagen dann irgendeinen der Filme gezeigt, irgendwas mit nem versteckten Zimmer, und ich war immer noch nicht beeindruckt, aber ich fand ja auch die Backstreet Boys doof, glaub ich jedenfalls, man muss ja nicht immer ein toter Fisch sein.


Dann aber war die Sonne da und ich saß in meinem Buchtfenster und „lesen“ war das einzig Gescheite zu tun in dem Moment, und Laura hatte mir das erste Buch irgendwann im Mai gegeben („jaja, mal sehen, ich guck mal rein“) und ich fing an und ich weiß, Ihr wartet jetzt auf die Klimax, die erschütternde Wahrheit, Conny ist Harry Potter-Fan, sie will gar nichts anderes mehr lesen, J. K. Rowling, you’re my queen! – aber eigentlich wollte ich nur kurz sagen, dass ich das Buch gar nicht sooo schlecht fand. Lach.


Was sonst noch? Oh, ich war im Theater, habe William Wycherley’s The Country Wife gesehen und habe jeden anzüglichen Witz und Twist verstanden und ja, ich weiß, welcher Literaturprofessorin in der Anglistik in Halle ich das zu verdanken hab. Schließlich war ich im pre-seminar reading test die Einzige, die nicht verstanden hat, dass es um alles andere als Porzellan ging in der Porzellan-Szene. Ähem. Zum Glück hatte ich das Seminar besucht, so konnte ich so wunderbar lachen an so vielen Stellen, und glücklicherweise bin ich nicht prüde, wie übrigens manche im Publikum gewesen zu sein schienen.
Must have been Brits.

Ich verpasse und vermisse den deutschen Sommer und die Milch, das ist wirklich traurig.


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Aktuelles Wetter: 6 Grad, Südostwind, bewölkt, 90% Luftfeuchtigkeit
Aktueller Soundtrack: immer wieder K's Choice. Sublim.
Aktuelle Obsession: Luftschlagzeug spielen
Aktuelles Gedankenporridge: Was ist Schönheit?
Zu hörendes Geräusch in diesem Moment: Die Glotze *augenverdreh*, die Lüftung meines Laptops, Luft kommt aus der Heatpump, die hört man auch


4 Kommentare:

  1. I wish I could understand half of what you're writing, it seems to be funny... but nope, only a bunch of words look familiar... Gee, I should've practised my German while you were around ;) Gonna miss you down here buddy !
    xxx

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  2. Der deutsche Sommer besteht heuer (zumindest in meiner Ecke des Landes) aus drückender Schwüle bei ca 30 Grad. Wenn du gern schwitzt, jeden Abend ein Gewitter erleben willst, dann seist du gern willkommen.

    Ach ja, und wenn die deutschen Milchbauern weiter so dermaßen unterbezahlt werden, dass sie einer nach dem anderen pleite gehen, dann haben wir hier bald nur noch Soja-Milch ...

    @Elsa: Why not join Conny back home to improve your German? (Hope this isn't that bad English ;) )

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  3. ...and by the way: This blog is really too small for such great pictures. You should publish a book or something, like "Faszination Erde". Something like that.

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  4. uuuuh Basti, I think I might. :)
    Plus: Elsa will do what you suggest. Arrangements have already been made. Yay!

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