Freitag, 25. Dezember 2009

Letztes Kapitel

Die ersten Zeilen, die ich schreiben wollte, sind leer.

Alle vorherigen Blogeinträge waren immer von den Bildern inspiriert, die ich gemacht hatte und die dann Erinnerungen zurück brachten; und von den Stichpunkten in meinem Kopf, die ich bei jeder Reise anfertigte.

Jetzt denke ich an Anfang 2009 zurück und weiß noch genau, wie eins meiner Beine lange Zeit irgendwie noch in Deutschland stand, als ich schon längst in Dunedin wohnte und Neuseeland sich lieblich, Woche für Woche, Monat für Monat, „into my being“ hinein fraß.

Genauso hab ich jetzt das Gefühl, dass da ein großer Teil von mir – vielleicht ein Bein, vielleicht aber auch ein Stück Herz, in Neuseeland geblieben ist.

Deshalb ist es gar nicht so leicht, sich die letzten Bilder anzusehen und so planvoll, strukturiert und konzentriert vorzugehen wie sonst. Schreiben war so leicht in unserem Wohnzimmer auf der orangen Couch, mit der Lehne im Nacken, Bic Runga vom CD-Player und Inkey schnurrend auf meinen Beinen, mit der Christchurch-Sommer-Sonne durch das riesige Fenster scheinend, und Ro kommt rein mit ihrem prall gefüllten Terminkalender im Kopf und hat aber Zeit für einen Soy Latte im „circa“, unserem Café, was sie mir dann auch gleich mitteilt, während sie schon ihren Autoschlüssel zückt und mich wartend ansieht, Blog kannste auch nachher noch schreiben, „yis“!

Im utterly bleak and uninspiring Germany weiß ich nun nicht so recht, ob ich mir die Bilder von meiner letzten Woche in Neuseeland (nach meiner Rückkehr aus Oz) ansehen will, denn die Bilder von Menschen von zu Hause an der Wand haben die ersten Monate in Dunedin ja auch nicht leichter gemacht, Vermissen ist eben – mal wieder – ein Scheiß-Gefühl, das ich gerne verdrängen möchte. Also drücke ich mich seit nunmehr 20 Tagen vorm Schreiben, obwohl ich doch eigentlich alle Stichpunkte noch klar vor mir hab und nur tippen muss…





Aber jede gute Geschichte braucht ein Ende; also los.


Mein Flieger fliegt nachmittags von Brisbane, braucht 3 Stunden, landet nachts in Christchurch; auch Australien liegt in der Vergangenheit, Neuseeland ist schneller als alle anderen. Glücklicherweise holt mich jemand ab.


Noch 6 Tage und ein halber in Neuseeland.


Ich habe vor, die nächsten Tage weiterhin das Wanderstiefel-noch-so-neu-aber-schon-kaputt — was-für-eine-Frechheit-Problem mit Ignorieren zu behandeln, obwohl Wanderexpertin und Kapitalismusfeindinskollegin Ruth protestiert; die sollen mir mal schön ein neues Paar geben, oder das Geld zurück! Och…mir fehlt der Elan, mich mit solchen gefühlten Nichtigkeiten zu beschäftigen, ich sitze lieber einfach so auf dem Cathedral Square und beobachte mit Musik in den Ohren die passierenden Menschen und Hunde, erstere wie immer schockierend oft Deutsche, das sieht man ja schon von weitem am Gang und der Frisur und der Jacke und der Klamottenkombination im Allgemeinen, und dem Gesicht mit dem deutschen Blick.





Keine Lust auf Wanderstiefelgeschäftskonfrontation, es gibt Wichtigeres. Naja gut, ich geh mal kurz hin um zu fragen, was sie da machen können. Sie sagen mir, ich soll sie zum Schuster bringen, der macht sie ganz und das kostet auch nicht viel. Och…



Dann doch lieber nochmal Kaffee mit Ngarie und Ro im „circa“, da verabschiede ich mich auch gleich von Esther, der Cafébesitzerin, die mit 24 eigentlich zu jung sein müsste, um so viel Weisheit auszustrahlen und deshalb wohl viele der Stammkunden anlockt, die ihr dann ihr mannigfaltiges Leid klagen, damit sie ihren klugen Senf dazu geben kann – dann trinken sie den Kaffee aus und alles kommt ihnen leichter vor. So blicken sie jedenfalls drein, wenn sie die Tür zuschieben und ihr noch mal winken, bevor sie weitergehen.

Die wunderbare Ngarie, die mit einem Messer und einem stetig vollen Kühlschrank zaubern kann (wirklich zaubern, nicht einfach kochen) und für eine Australierin eigentlich viel zu sehr Kiwi ist, veranstaltet an meinem letzten Wochenende ein kleines Brunchen, Ro ist natürlich da und auch Neve und Te Koha, und sogar Gary setzt sich zu uns und isst zwei Oliven, er isst normalerweise nichts, trotz der ngarieschen Magie.



Ruth schleppt mich übrigens am Tag vor meinem Abflug noch zum Wanderstiefelgeschäft und erdiskutiert mir ein nagelneues Ersatzstiefelpaar für das „alte“ kaputte, von wegen „Lassen Sie sie sich reparieren!“. Revolution!

Ich leihe mir aber vor diesem Wochenende erst einmal einen großen, weißen Toyota mit Lenkrad rechts und fahre wie schon lange geplant in den kühleren Süden nach Dunedin, um Elsa ein letztes Mal zu sehen – Elsa, und Central Otago.




[Unterwegs nach Süden auf Highway 1, im Hintergrund der Pazifik]


Auf dem Weg zu Elsa komme ich gegen 5 an den Moeraki Boulders vorbei. Hier war ich schon mal alleine, im Spätherbst, der wie ein fürchterlicher Winter war. Im Mai. Mit Gitarre, K’s Choice und einem laaangen Gesicht, weil alles doof war.

Jetzt sind die Wolken weg und ich drücke die Boulders wieder und gucke total anders und möchte sie eigentlich gerne knutschen.





Sie haben wohl 4 Millionen Jahre gebraucht, um von einem Partikel am Meeresgrund auf diese Größe anzuwachsen. Jetzt wiegt jeder von ihnen Tonnen und zerfällt jedes Jahr einen Bruchteil eines Zentimeters mehr.






Das Wiedersehen mit Elsa und ihren Mitbewohnern, aber vor allem mit Elsa, ist … zerschmelzend. Wir reden bis spät in die Nacht, wie früher. Schade und irgendwie just wrooong, dass Marta und Zeus fehlen; die sind schon nicht mehr in Neuseeland.



Am nächsten Tag fahre ich – wie ich mir das schon lange ausgemalt hatte – nach Central, um mich zu verabschieden. Einmal im Kreis, damit ich an nichts zweimal vorbei komme; über Ranfurly (Fahrradtrip-mit-Elsa-Erinnerungen kommen hoch und Hintern gibt Atomschmerz wieder) und Middlemarch, in 6 Stunden.











[Kisten für die Bienen]




Der Wind erreicht Rekordmaße. Toyota und ich hinterlassen einen eigentlich unnötigen CO2- Fußabdruck in der neuseeländischen Luft, aber wenn der nach oben stapft, trifft er auch nur aufs Ozonloch und kann also nix mehr kaputt machen. Oder?







Ich werde immer mal wieder gefragt, was mein Lieblings-Reiseziel in Neuseeland ist. Von vielen Menschen hört man an der Stelle Queenstown (die Berge, die Berge, der See, der See!), Wanaka (die Berge, die Berge, der See, der See!), Auckland (keine Ahnung, warum), Mount Cook (höchster Berg hier, klar, genial), Stewart Island (unberührt und Kiwis), Tongariro National Park und die Vulkane (sehr beeindruckend und beliebt bei Skifahrern), und ganz vieles hat im Prädikat den Zusatz „der und der Drehort von Herr der Ringe“.










Wenn man von lediglich weichen Bergen um sich (soweit das Auge blicket), winzigen Ortschaften, wenigen Straßen und Menschen leben könnte, würde ich allerdings in Central Otago wohnen wollen. Hier scheint die Uhr anders zu ticken, hier ist man so was von in der Pampa, dass man nicht mal einen Radiosender, geschweige denn Handy-Signal empfängt (gut, das ist keine Kunst in NZ), hier wundert man sich, wenn einem ZWEI Autos innerhalb von 30 Minuten entgegen kommen. Hier ist der Rohan-Drehort von Herr der Ringe. Ich liebe diese Stille, diese Weite, diese beeindruckende Einfachheit von Landschaft, die auch nach zwei Stunden noch vorhersehbar bleibt (aber man staunt trotzdem permanent) und so viel Wärme ausstrahlt, sogar im Juni, wenn es schneit.







Man fährt hier durch, wenn man von Dunedin gen Westen fährt; z.B. nach Queenstown oder Wanaka, zur Westküste oder nach Fjordland, nach Tekapo oder nach Te Anau. Ich war hier quasi zu jeder Jahreszeit und bin fasziniert von dem Gefühl, das man bekommt, wenn man trotz der großen Entfernung und der erwähnten Vorhersehbarkeit gewisse Stellen wieder erkennt. „Welcome home“ (Dave Dobbyn). Central behält in jeder Jahreszeit den gleichen Charakter, hat nur einen anderen Mantel um, oder keinen.

Ich nehme mir vor, in Ranfurly Mittag zu essen; mir ist nach Pie und Café Latte.





An der Wand hängt ein Bild mit dem Titel „Central Otago“.



GENAU SO.

GENAU DAS ist Central. Ich kann mir mein Seufzen schwer verkneifen.





Das Pastetchen esse ich – um das noch mal zu üben und in mich reinzugrinsen – auf typisch australische Art…























Elsa hat für den Abend einige von den anderen Fremdsprachenlehrerinnen eingeladen, die wir beide kennen und kocht, mjam.

Wenn ich in Dunedin bin, muss ich natürlich auch zu den Wares fahren, hab ja immerhin 6 Monate bei ihnen gewohnt und sie im September das letzte Mal besucht.

Außer John (Vater) sind alle da, auch die Katzen. Wirklich schön, dass ich Alison, Jess und Laura noch mal sehe. Fawkes, mein bester Katzenfreund, sieht mich mit riesigen, ungläubigen Augen an und ich möchte echt gerne wissen, was gerade in seinem Miezekatzenhirn vorgeht. Er braucht eine Weile, bis er sich streicheln lässt. Phoenix, wie immer, ignoriert mich hochmütig, während er meine Hand auf seinem Fell vermisst.

Elsa fängt in der Zeit schon mal an, das Essen für den Abend vorzubereiten, es gibt Quiche; ich helfe dann, indem ich das dokumentiere, einer muss es ja machen.


















Ein weiterer Abend in brillanter Gesellschaft und mit gutem Elsa-Essen…

Am nächsten Tag muss ich zurück, die Uhr tickt, ich höre jetzt jede Sekunde. Übermorgen fliege ich.

Auf dem Rückweg gabele ich an Dunedins Stadtgrenze noch Benjamin aus Fronkraisch auf, der nach Oamaru muss, liegt ja auf dem Weg nach Christchurch, klar, spring rein. Er sieht nun wirklich nicht wie ein Verbrecher aus, ünd sein frongßößiescher Akßoong kliengt wirkliesch niescht göffäährliesch.

Einen Tramper mitzunehmen, ist eine angenehme Art, die sechsstündige Autofahrt zu überbrücken, Radio empfängt man ja selten und CD-Laufwerk hat er nich. Benjamin erzählt mir viele interessante Geschichten von dem Neuseeland, das er seit 3 Wochen kennt; ich lausche gespannt und nicke oft lächelnd.



Noch vor Oamaru kommen wir an den Boulders vorbei. Benjamin fliegt in einer Woche zurück und ich sage ihm, er darf sie nicht verpassen, wenn er schon mal direkt an ihnen vorbei fährt. Ich frage ihn, ob er etwas Zeit hat und wir stellen uns auf den Besucherparkplatz und laufen runter zu den riesigen Findlingen, denen jetzt gerade das Wasser bis zum Hals steht; es ist Flut.



Benjamin meint auch, dass dieser Ort etwas Besonderes ist. Für manche sind die Boulders einfach nur große Steine, aber Te Kaihinaki hat eine wirklich extraordinäre Atmosphäre. Für die Maori sind sie die versteinerten Überbleibsel der Körbe und deren Inhalt, die nach einem Schiffbruch in der Nähe angespült wurden.





Da hinten, zeige ich ihm, 45 Minuten Bummelstrandweg entfernt, ist Moeraki, das Dorf. Ich erzähle ihm kurz, wie ich im Mai ein Wochenende dort verbracht hab und mir das Handyguthaben ausging und ich eigentlich dringend jemandem eine Nachricht schicken musste, aber es gibt keine Karten oder PINs in Moeraki; kaufen kann man hier nur Essen und Getränke, an zwei Orten: der Kneipe und dem berühmten Restaurant Fleur’s. Die Abgeschiedenheit gibt einem das Gefühl, der Tag hätte mehr Stunden; ab und zu kommt zwar ein Auto die kleine Hauptstraße entlang, aber meistens hört und riecht man nur den Pazifik.

Hier bei den Boulders ist Neuseeland so anfassbar wie überall; wie in Central, in Christchurch, in Taranaki, auf der Otago-Halbinsel, auf Stewart Island, an jeder Küste, in jedem Beech-Wald; man fasst es an mit seinem ganzen Ich, nimmt es auf mit allen seinen Sinnen, man verschlingt es förmlich, aber zärtlich und genussvoll. Jeder Baum, den man umarmt, atmet dieses Land ein und aus; jedes Tier liebt es und kämpft gegen all das, was Menschen hierhin gebracht haben und was hier nicht hingehört.

Als Mensch steht man dumm und unwichtig inmitten der überwältigenden Schönheit und Bedeutsamkeit; als Europäer verliert man möglicherweise seine natürliche Toleranz von Hektik, verbissener Anonymität und gewollter Mensch-ist-Hierarchiespitzen-Arroganz. Und als Conny … fühlt man sich außerdem unbeschreiblich reicher, dankbarer und größer, weil man dieses Land gesehen und eingeatmet hat und es in einem drin ist, ganz tief, auch in der Haut, und weil man so viele Menschen getroffen hat, die einem den Blick verschärft, den Gesichtskreis erweitert und die Lebensgeschichte so großartig verziert haben. Kiwiland ist jetzt in Conny.

2 Kommentare:

  1. hallo conny. ich hab deinen blog mal in eine andere form gebracht: http://www.wordle.net/show/wrdl/1496766/Connys_Neuseelandblog

    liebe grüße, yvonne

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  2. Hey Conny!

    Sehr schönes und bewegendes Schlusswort. Wenn dieser Blog ein Buch über Neuseeland wäre, ich würd es kaufen!

    Achja, willkommen zurück in "utterly bleak and uninspiring Germany". Ein paar schöne Flecken gibts hier ja auch...

    Basti

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